Hans Heiling-Felsen
Versteinerter Hochzeitszug
Eine Gruppe an imposanten Granittürmen bildet im wildromantischen Egertal zwischen Loket (Elbogen) und Karlovy Vary (Karlsbad) den sehenswerten Hans Heiling-Felsen. Dieser gehört seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Ausflugsziel der Karlsbader Kurgäste. Die bizarren Felsen wurden schon im Jahre 1933 zum Naturschutzgebiet erklärt, heute haben sie den Status eines Nationalen Naturdenkmals. In der Zeit der Romantik inspirierten die Felsen Literaten und Dramatiker, darunter Johann Wolfgang von Goethe, Carl Theodor Körner, Christian Heinrich Spiess, Augustin Eugen Mužík und die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm. Der Komponist Heinrich Marschner verarbeitete das Motiv des versteinerten Hochzeitszugs in einer seiner bekanntesten Opern: Hans Heiling.
Die Sage von Hans Heilig
Vor langer, langer Zeit war ein armer Bauermann auf dem Wege zum Schloss Vohburg, um dort seinen Frondienst abzuleisten, wie es Brauch und Pflicht war zu diesen Zeiten. Und als er seines Weges schritt, hörte er ein schwaches Weinen, das von einigen Steinblöcken am Wegrand zu kommen schien.
Da verließ er den Weg, um nach der Ursache zu forschen, und fand zu seinem Erstaunen ein Knäblein zwischen den Felsen liegen. Der Bauer sah um sich und rief wohl auch, in der Hoffnung, dass vielleicht jemand, der dem Kinde zugehörig war, sich melden möge - aber da war niemand außer dem weinenden Knaben.
Der Bauer, der ein gutes Herz hatte, nahm nun seufzend das Kind hoch, das sich schwach an die warme Brust des Mannes drückte und in einen Schlummer fiel. Mit dieser Last nun kam der Bauer auf dem Schlosse an, wo er sich der Markgräfin melden ließ und sich durchaus nicht abweisen lassen wollte. Mitsamt seinem Bündel beugte er das Knie und sprach mit gesenktem Kopfe zu der hohen Frau, er könne keine Gabe bringen, wie der Brauch es verlange beim Antritt der Fron, außer eben dieses kleinen Findlings.
So erzählte er, wie er zu dem Kind gekommen war und bat um Barmherzigkeit. Die Gräfin nun war gerührt von der Bitte des schlichten Mannes und der Hilflosigkeit des Knaben, und sie versprach, sich das Kind anzunehmen. Das tat sie mit aller Sorgfalt, und so kam es, dass der Junge in der Schlosskapelle auf den Namen Hans getauft wurde und als Zunamen den seines Retters erhielt: Heiling.
Unter der Fürsorge der guten Herrin wuchs Hans zu einem hübschen und klugen Knaben heran, der weitaus mehr Gefallen am Lernen als an wilden Spielen mit seinen Altersgenossen fand. Wissbegierig lauschte er den Worten des Kaplans, der - seinerseits entzückt vom Lerneifer des Jungen - ihn vieles lehrte. So meisterte Hans Heiling schon in jungen Jahren das Lateinische so weit, dass er viel Nutzen zog aus den Büchern und Rollen, über die das Schloss verfügte.
Wenn Hans nicht las und lernte, streifte er in der Umgebung umher und beobachtete das Leben und Wachsen um sich her, das er ebenso spannend und lehrreich fand wie seine Studien mit dem Kaplan - meinte er doch, dass alles auf einer einzigen Wahrheit gründe, die es zu finden galt. Es war ihm, als müsse er nur diese kennen, um alles andere zu verstehen und zu beherrschen. Dieser Gedanke trieb den Jüngling um und ließ ihn kaum mehr zur Ruhe kommen, nicht einmal seine Streifzüge machten ihm noch viel Freude.
Aber als er eines Tages wieder in den Wäldern unterwegs war und sich zur Rast am Ufer der Eger niedergesetzt hatte, war ihm, als riefe ihn eine Stimme beim Namen. Er schaute um sich, wer ihn wohl hier an diesem einsamen Orte gefunden haben könnte, aber er sah niemanden. Wieder hörte er Rufe, und da gewahrte er ein seltsames Bild. Eine bleiche Frau von großer Schönheit und mit grünen Augen stand vor ihm im Fluss, sichtbar bis zur Hüfte, und streckte ihm eine bleiche Hand entgegen.
Überrascht fuhr Hans zurück - aber da sprach die Erscheinung zu ihm, als ob sie ihn seit langem kenne - und versprach ihm die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches. Sie wolle ihn die Schwarzkunst lehren, das tiefste Wissen - aber ein Opfer verlange sie dafür. Er müsse geloben, sich niemals zu vermählen. Hans nun dünkte der eine geringe Lohn, und ohne nachzudenken gab er sein Wort, von tiefer Erwartung erfüllt. So wob die Flussnixe einen Zauber, berührte die Schläfen des Jünglings und flüsterte in sein Ohr, Stunde um Stunde. Und als Hans Heiling an diesem Abend zur Burg zurückkehrte, war er ein anderer.
Tief und tiefer drang er ein in das Wissen, das er sich erkauft hatte, und seine Fähigkeiten und seine Macht wuchsen mit jedem Tag. So verging eine lange Zeit, gar Jahre zogen vorüber, in denen Hans seiner unirdischen Lehrerin kaum mehr gedachte, ebenso wenig dem Schwur, den er getan. Denn ihm war eine andere große Macht begegnet - die der Liebe. Und so freite er um ein schönes und gutherziges Mädchen, das seinem Werben nicht lange widerstand und seinen Antrag annahm.
Die Macht der Nixe schien ihm, auf sein Wissen vertrauend, recht gering und er glaubte, diese mit seiner eigenen Macht brechen zu können. So kam der Tag der Trauung heran, und das Paar hatte sich mit den Gästen und den Musikern im Ballsaale des Schlosses versammelt, hatte doch die gerührte und stolze Gräfin sich nicht nehmen lassen wollen, die Hochzeit auszurichten.
Und gerade als der Priester eben den glücklichen Bräutigam um das Jawort fragen wollte, hörte man ein Tosen von draußen her und ein Brechen. Alle stürmten hinaus, um zu sehen, was da wütete - da rollten die entfesselten Wogen des Flusses gegen das Schloss an, auf der Gischt schien es wie von weißen Gliedern und langem Haar zu glänzen. Blitze und Donner fuhren mit gewaltiger magischer Kraft auf das Schloss nieder und machten es dem Erdboden gleich.
Das Brautpaar aber, der Priester, die Gäste und auch die Musikanten wurden unter dem Zorn der Nixe zu Stein. Und so steht die Hochzeitsgesellschaft des Hans Heiling noch heute am Ufer der Eger und wartet auf das Jawort, das niemals kommen wird.
(nach Ilona Elisabeth Schwartz: Deutsche Märchen und Legenden, www.mobihexer.de)